02.05.2021
Vom Versuch einer gerechten Leitungsbewertung in dieser Zeit der Pandemie
Sehr geehrte Eltern und Erziehungsberechtigte, liebe Schülerinnen und Schüler,
über kaum ein Thema haben wir in den letzten Monaten im Schulleitungsteam und im Kollegium so häufig gesprochen, wie über das Thema der Leistungsbewertung. Und kein Thema hat uns phasenweise so ratlos zurückgelassen wie eben dieses. So möchte ich Sie und euch mit den folgenden Ausführungen in unsere Beobachtungen und Überlegungen einbeziehen. Der Zeitpunkt dieses Briefes ergibt sich aus den Laufbahnkonferenzen der letzten Woche und den nun anstehenden Elternsprechtagen. Bei der Bildung der Quartals- oder Zeugnisnoten sind wir auf die Leistungen angewiesen, die die Schülerinnen und Schüler erbracht haben. In diesem Schuljahr galt die Vorgabe des Ministeriums, dass Schülerinnen und Schüler sich in der Distanz nur verbessern können, nicht mehr. So kam es zu einem Spektrum von sehr guten Leistungen bis zu Leistungsbildern, die nicht als ausreichend bezeichnet werden konnten. Hierbei spielte leider oft auch eine Rolle, dass in der Distanz keine Leistungsbereitschaft ersichtlich wurde.
Das Thema „Bildungsgerechtigkeit“ war bereits vor der Zeit der Pandemie immer wieder in der Öffentlichkeit präsent. Die hinter uns liegenden 14 Monate haben eklatante Defizite sichtbar werden lassen, die rasant zur Verstärkung der Bildungsungerechtigkeit geführt haben. Alle lobenswerten Maßnahmen der verschiedenen Schulträger und des Ministeriums haben in der Kürze der Zeit noch nicht ausreichend greifen können.
Welche Konsequenzen hat das für Schule allgemein und für unsere Schule im Besonderen?
Hinsichtlich der Digitalisierung hat die Pandemie den Umsetzungsdruck enorm erhöht. Es hat sich hier im letzten Jahr auch viel getan. Allerdings haben uns diese positiven Veränderungen in der Schule nur in Ansätzen erreicht.
- Wir verfügen über wenige mobile Router, die nur in kleinen Bereichen die Arbeit auf Distanz ermöglichen. Für einen sogenannten „Hybridunterricht“, bei dem der Unterricht live aus der Schule übertragen wird, reichen unsere Kapazitäten längst nicht aus.
- 145 Endgeräte für die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern und zur Ausleihe haben uns noch nicht erreicht.
- Unsere eklatante Raumnot hat uns oft gezwungen, an Prüfungstagen einen Jahrgang komplett in die Distanz zu schicken. Auch der Ausfall des Nachmittagsunterrichts liegt unter anderem darin begründet.
Die Lernplattform IServ hat uns allerdings für das Lernen auf Distanz und für unsere schulinterne Kommunikation einen großen Schritt nach vorne gebracht. Hätte uns diese Plattform bereits vor der Pandemie zur Verfügung gestanden, wäre das Arbeiten damit für alle Beteiligten bereits von Routine geprägt. So mussten sich alle zum großen Teil auf Distanz damit vertraut machen.
Digitale Medien waren zu Beginn der Pandemie für die schulische Arbeit immer noch etwas Besonderes und kein Werkzeug, das allen selbstverständlich zur Verfügung stand und steht. Unsere Umfragen haben daher auch ergeben, dass viele Schülerinnen und Schüler auf ihr Smartphone angewiesen sind, wenn sie sich im Distanzunterricht befinden. Und selbst bei einer besseren Ausstattung waren die privaten Möglichkeiten hinsichtlich einer stabilen Internetverbindung vielfach nicht gegeben. Das zeigt sich in allen Videokonferenzen. Hinzu kommen die Rahmenbedingungen in der Familie. Das eigene Zimmer, die Unterstützung durch die Eltern und der Umgang mit all den Lern- und Lebensbedingungen und Ängsten sind nur einige wenige Faktoren, die die Leistung der Schülerinnen und Schüler beeinflussen.
Ich werde gelegentlich von Eltern gefragt, warum wir nicht mehr Videokonferenzen anbieten. Darauf möchte ich an dieser Stelle gerne eingehen. Dieses Thema reduziert sich jedoch auf die unteren Jahrgänge. In der Oberstufe werden viele Videokonferenzen durchgeführt. Hier ist die Versorgung mit Endgeräten allerdings auch besser. In einer Dienstbesprechung habe ich mit den Kolleginnen und Kollegen vor Monaten abgesprochen, dass wir in den unteren Jahrgängen die Möglichkeit der Videokonferenz vorrangig dazu nutzen, den Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern zu halten, sie dabei zu unterstützen ihren Tag zu strukturieren und Fragen zu den auf IServ bereitgestellten Materialien zu beantworten. Für den Unterricht im Rahmen von Videokonferenzen gilt darüber hinaus z. B. Folgendes: Kurze Konferenzen mit wenigen Schülerinnen und Schülern sind effektiver, weil man sich dann auch besser auf ihre individuellen Möglichkeiten einstellen kann. Eine Doppelstunde wird dadurch für die Schülerinnen und Schüler zu einer intensiven Einheit von 20 Minuten. Tatsächlich bietet die Lehrkraft dabei allerdings etwa sechs Konferenzen in Folge an. Während also die Lehrkraft zwei Zeitstunden für die sechs Gruppen einer Klasse benötigte, hatte jeder Schüler „nur“ 20 Minuten eine intensive Unterstützung innerhalb einer Videokonferenz.
Würden Videokonferenzen innerhalb des Distanzunterrichts eine Priorität einnehmen, würden viele Schülerinnen und Schüler in ihrer Lernentwicklung leider ausgebremst. Fachunterricht mit einem digitalen Tafelbild bei schlechter Internetverbindung auf einem Smartphone zu verfolgen, muss für die Schülerinnen und Schüler frustrierend sein. Ich durfte selbst bei verschiedenen Konferenzen anwesend sein und habe häufig erleben müssen, wie sehr schlechte Rahmenbedingungen diesen Unterricht negativ beeinflusst haben.
Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang leider auch, dass sich viele Schülerinnen und Schüler dem Unterricht in der Distanz entziehen. Sicherlich haben sie das Recht ohne Bild an einer Videokonferenz teilzunehmen. Nicht selten zeigt sich jedoch, dass sie nicht am Platz sind oder den Inhalten nicht folgen. Dies fällt dann auf, wenn die Lehrkraft einzelne anspricht und keine Reaktion erfolgt.
Die Arbeit mit den auf IServ eingestellten Materialien, zu denen auch Links zu Lernvideos gehören, nimmt den Druck, dem die Schülerinnen und Schüler im Rahmen einer Videokonferenz möglicherweise unterliegen, wenn die Technik nicht funktioniert. Die Schülerinnen haben hinsichtlich der Distanzaufgaben immer die Möglichkeit der Rückfrage über die Messenger-Funktion oder über andere Kanäle. Hier haben wir unsere Vorgehensweisen immer weiter optimiert.
Auf Seiten der Schule waren wir im Präsenzunterricht gehalten, Differenzierungen aufzuheben und die Klassen in halber Stärke wieder zusammenzuführen. In manchen Fächern war der eigentliche Fachunterricht untersagt und es mussten Ausweichmöglichkeiten geschaffen werden, um das Erbringen von Leistungen überhaupt möglich zu machen. Das Fach Sport, aber auch das Fach Religion waren hier z. B. besonderen Bedingungen ausgesetzt.
Was uns die Monate der Pandemie gezeigt haben, ist die Tatsache, dass wir uns, auch vor dem Hintergrund unseres Leitbildes der Lebenskompetenz, gemeinsam stärker darum bemühen müssen, die Schülerinnen und Schüler in der Fähigkeit eines eigenverantwortlichen und selbstgesteuerten Lernens und Arbeitens zu stärken. Die Gesamtschule Weierheide hat den Ruf, ihre Schülerinnen und Schüler sehr individuell und intensiv zu begleiten. Wir müssen jetzt erkennen, dass wir hierbei inzwischen manchmal über das Ziel hinausschießen. Wir sollten die Schüler begleiten und beraten, aber wir haben ihnen häufig zu viel abgenommen, haben sie von A nach B getragen und sie nicht selber laufen lassen. Das neu zu überdenken, wird die Aufgabe der nächsten Zeit sein. Auch wir befinden uns fortwährend in einem Lernprozess. Unsere individuelle Begleitung wird darunter nicht leiden. Im Gegenteil: Das Ziel der Eigenständigkeit, bei einem immer vorhandenen Sicherheitsnetz rückt dadurch mehr in den Fokus.
All diese Aspekte machen deutlich, wie schwierig es momentan ist, Schülerleistungen zu bewerten:
- Die Rahmenbedingungen im Elternhaus müssten beachtet werden.
- Manchmal ziehen sich Schülerinnen und Schüler in ihrem Leistungsverhalt jedoch unberechtigt auf angeblich schlechte Rahmenbedingungen zurück.
- Es kam teilweise zu Verweigerungshaltungen.
- Manche Leistungsschritte sind außerordentlich positiv, obwohl schlechte Rahmenbedingungen vorlagen.
- Manche Leistungen waren offensichtlich nicht eigenständig erbracht worden.
- Andere Schülerinnen und Schüler hatten keine außerschulische Unterstützung haben keine, manchmal aber trotzdem gute Leistungen erbracht.
In diesem verworrenen Geflecht mussten wir uns bewegen und uns immer wieder auf den Grundsatz zurückziehen, dass nur erbrachte Leistungen bewertbar sind. Wir können nicht mit einem grundsätzlichen „Coronabonus“ operieren, da dieser manche Schülerinnen und Schüler in ihrer Leistungsverweigerung bestärken würde.
Ich möchte unterstreichen, dass sich das gesamte Kollegium sehr um eine individuell „gerechte“ Bewertung bemüht hat.
Unsere verbliebenen Abschlussjahrgänge (10. und 12. Jahrgang) haben den größten Anteil des Präsenzunterrichts erhalten. Hier basiert die Leistungsbewertung auf einer tragfähigen Basis an Nachweisen, sofern die Schülerinnen und Schüler diese erbracht haben. Doch auch hier gibt es Schülerinnen und Schüler, die sich den Anforderungen bisher entzogen haben und aus den Konsequenzen hoffentlich die richtigen Schlüsse ableiten.
Ich freue mich aber auch, dass viele Schülerinnen und Schüler aller Jahrgänge die Distanzaufgaben trotz schwieriger Bedingungen gewissenhaft bearbeitet haben und am Ende des dritten Quartals ein erfreuliches Notenbild aufweisen.
Wir hoffen alle, im nächsten Schuljahr unsere Arbeit auch in Bezug auf die Bewertung von Leistungen so transparent und gerecht fortsetzen zu können, wie es unserem Ideal nahe kommt.
Wir hoffen darauf, dass wir unsere Schülerinnen und Schüler ab dem 10.05. im Wechselunterricht wiedersehen. Momentan können wir hierzu jedoch keine verbindliche Aussage treffen.
Man kann erkennen, dass die Hoffnung in den letzten Monaten unser ständiger Begleiter geworden ist.
Beste Grüße aus dem Schulleitungsbüro
Doris Sawallich