Die ersten Brücken sind gebaut! Ende Januar berichteten wir vom geplanten (Vor-)leseprojekt unserer Schule, bei dem sich Schülerinnen und Schüler im Altenheim St. Clemens engagieren wollten. Das Fundament wurde mit dem Seminartag im Altenheim gelegt. Unsere Schülerin Julia Klein-Allermann lässt uns an ihren ersten Begegnungen teilhaben und zeigt mit ihrem Erfahrungsbericht, dass sich der Bau gelohnt hat und die Brücken ihren Zweck erfüllen: Sie verbinden.
(Eva Okrent, AK Lesen)
„Seit dem 11.5.2016 gehe ich nun schon zweimal im Monat ins St. Clemens Altenheim um einer Seniorin vorzulesen. Angefangen hat das alles mit einem Workshop, den alle Interessierten belegen konnten. Eine Vertreterin der „Stiftung Lesen“ erklärte uns nicht nur, worauf wir besonders zu achten hätten und überreichte uns später eine Art Teilnahmebescheinigung in Form einer Urkunde, sondern stiftete, stellvertretend für ihre Organisation, auch eine Bücherkiste, aus welcher wir unsere Vorlesebücher beziehen. Ende April gab es dann noch ein Treffen mit allen Freiwilligen, der Heimleiterin und den zuständigen Sozialarbeitern, um festzulegen, wer wann zu wem kommt und was vorlesen möchte. An diesem Tag lernte ich auch das erste Mal die Seniorin kennen, welcher ich ab nun jeden zweiten und dritten Mittwoch von 15:00 bis 16:00 Uhr im Monat vorlese. Obwohl sie schon über 80 Jahre alt ist, würde ich sie definitiv als fit bezeichnen, also nicht physisch, da die Dame leider bettlägerich ist, aber psychisch ist sie auf jeden Fall noch topfit. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, warum, wenn ich da bin, mehr geredet als vorgelesen wird und die Sozialarbeiterin mich schon „vorwarnte“, dass es meist sehr schwierig sei überhaupt zu Wort zu kommen, und ich mich hervorragend mit ihr verstehe. Denn wenn es ein Wort gibt, welches sie perfekt beschreibt, dann ist dies höchstwahrscheinlich „gesprächig“, was es verständlicherweise angenehm macht, sich mit ihr zu unterhalten.
Obwohl ich erst zwei Nachmittage bei ihr verbrachte, habe ich das Gefühl, mehr über ihr Leben, ihre Familie und generell über die Art und Weise, wie man vor einigen Jahrzehnten lebte, zu wissen, als ich es je vermutet hätte. Was durchweg als positiv zu bezeichnen ist, weil genau dies das ist, was mir bis jetzt immer fehlte: Großeltern, welche durchgehend über „früher“ oder „als ich in deinem Alter war“, sprechen. Und natürlich über die „Jugend von heute“, von der „meine“ Seniorin offensichtlich nicht sehr angetan ist. Allerdings vermag ich dies anscheinend ändern zu können, was mich wiederum ein wenig stolz macht, denn je mehr ich ihr aus meinem Leben, von der Schule und meinen Vorstellungen, wie meine Zukunft mal aussehen soll, erzähle, desto (positiv) überraschter ist sie, dass die „Jugend von heute“ anscheinend doch nicht so schlimm und hoffnungslos verloren zu sein scheint, wie sie es vorher wohl dachte.
Ich denke, man könnte die Vorlesenachmittage, welche eigentlich eher spannende Gespräche entstehen lassen, auf jeden Fall als Win-Win Situation bezeichnen. Denn während ich mich bemühe, ihr leicht negativ angehauchtes Bild der heutigen Jugend wieder ins rechte Licht zu rücken, lerne ich viel über die Lebensweise vor 60/70 Jahren, und verstehe somit immer mehr, dass Senioren deshalb solch ein schlechtes Bild von uns haben, weil sie schlichtweg in einer ganz anderen Welt groß geworden sind, als wir dies gerade tun.
Julia Klein-Allermann, 9b